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Martin Moszkowicz: „Ein funktionierendes Urheberrecht ist dringend nötig“

In einem Gastbeitrag im aktuellen Spiegel (Nr. 12/2012) führt Martin Moszkowizc, Filmvor­stand der Constantin und Mitglied des Produ­zen­ten­al­lianz-Gesamt­vor­stands, aus, warum ein effek­tiver Urheber­rechts­schutz im Internet auch die Voraus­setzung für eine funktio­nie­rende Filmwirt­schaft ist – zum Nutzen der Verwerter und der Urheber.

Der Beitrag im Wortlaut:

DEBATTE

Digitales Freibier

Ein funktio­nie­rendes Urheber­recht ist dringend nötig.
Von Martin Moszkowicz

Wie kann, wie muss in der Inter­netära der Schutz der Urheber­rechte gewähr­leistet werden? Oder soll es überhaupt keine Barrieren mehr geben, wie ein Teil der Netzge­meinde fordert? Vergangene Woche attackierte SPIEGEL-Autor Stefan Nigge­meier die Verwer­tungs­in­dustrie. Ihm antwortet einer der bekann­testen Filmpro­du­zenten des Landes.

Ist das Urheber­recht die Erfindung einer profit­gie­rigen Recht­e­industrie? Ist das illegale Herun­ter­laden von Filmen, Musik und Büchern legitim oder doch zumindest verständlich, weillegale Angebote künstlich verknappt und nur unzurei­chend zur Verfügung gestellt werden? Haben die Verwerter, also Verlage oder Platten­firmen, nicht das Gemeinwohl im Sinn, sondern nur ihren Profit? Mit bemer­kens­werter Ignoranz sprechen viele Netzak­ti­visten den Verwertern das Recht ab, mit Inhalten Geld zu verdienen. Die Argumen­tation dieser kleinen, aber lautstarken Gruppe lautet, dass die Vertriebs­arbeit von Verlagen, Filmaus­wettern und Fernseh­an­stalten im Zeitalter des Internets nicht mehr notwendig sei. Es könne ja jeder direkt alle Inhalte aus dem Netz heraus konsu­mieren.

Der grund­sätz­liche Irrtum basiert auf der naiven Vorstellung, dass jedes Werk – egal ob Artikel, Buch, Song oder Film – nicht einzig­artig ist, sondern heute von jedem konzi­piert, herge­stellt, vertrieben und verwertet werden kann. Jeder kann Künstler sein. Jeder könnte also auch zum Beispiel „Let it be“ schreiben – kann doch nicht so schwer sein! Auf jeden Fall ist es nicht so viel wert, dass man den Zugang dazu gegen Bezahlung einschränken sollte.

Deshalb ist aber das Netz voll von Videos tanzender Katzen und beißender Klein­kinder. Dieser „User-generated-Content“ wird milli­ar­denfach konsu­miert, gezahlt wird mit der Währung, die heute wertvoller ist als Gold: Aufmerk­samkeit und persön­liche Daten – am besten beides. Die irrwitzig hohen Bewer­tungen von Google, Facebook & Co. basieren darauf, dass dieses Geschäfts­modell unver­ändert weiter­ge­führt werden kann.

Die Hersteller und Verwerter sollen also nichts von dem Kuchen abbekamen. Allen­falls die Urheber ein bisschen, aber dann nur direkt vom Konsu­menten. Dass Google oder Facebook durch die Werbe­schal­tungen Milli­ar­den­ge­winne erzielen wie auch die Telekom-Konzerne durch die Gebühren fürs Netz, wird seltsa­mer­weise von den Vertretern einer digitalen Freikultur nicht in Frage gestellt.

Unser Urheber­recht schützt jeden Urheber, also auch das beißende Baby bezie­hungs­weise seine Eltern. Sie haben sich als Urheber zu einem kosten­freien Verwer­tungsweg entschlossen. Das ist ihr gutes Recht, denn das Urheber­recht hat nichts mit dem Schutz von Filmfirmen zum Beispiel und deren vermeint­licher Gewinn­sucht zu tun. Im Gegenteil: Wenn Verlage, Musik-Labels und Filmfirmen künftig überflüssig werden sollten, weil die Autoren, Musiker und Filme­macher ihre Werke selbst herstellen und vermarkten, dann werden die Künstler umso mehr darauf angewiesen sein, dass ihre Werke geschützt werden. Denn auch das Recht zu entscheiden, wie die Verwertung statt­findet, ist nur mit einem funktio­nie­renden Urheber­recht gewähr­leistet.

Als Filmpro­duzent bin ich eher nicht bereit, für das beißende Baby zu zahlen, sondern hoffe auf das einzig­artige, das außer­ge­wöhn­liche Werk. Dafür bin ich bereit, den Urheber, also Künstler, vorab zu bezahlen und ihn dann auch an der Verwertung zu betei­ligen. Seine Vergütung misst sich an seinem Marktwert und seine Betei­ligung an dem Erfolg seines Werks. Auch ein Künstler hat einen Marktwert, aber nur er als Urheber hat ein ausschließ­liches Recht an seinem Werk. Er trifft die Entscheidung über die Wiedergabe in der Öffent­lichkeit. Er entscheidet, wann und wie und ob überhaupt mit seinem Werk Geld verdient wird – und er ist auch frei, es zu verschenken. Oder eben nicht.

Grund­sätzlich werden von den Vorkämpfern einer digitalen Freikultur jedoch die Verwerter angegriffen, weil sie das Gemeinwohl nicht im Sinn hätten: Durch die neue Techno­logie müsse dem Kunden gegeben werden, was er für einen „fairen“ Preis hält, und zwar zu dem Zeitpunkt, den er sich wünscht. Bitte? Soll in Zukunft nicht der „Markt“, also das Zusam­men­spiel von Angebot und Nachfrage, sondern der Kunde allein die Preise von Produkten bestimmen? Cool, oder? Wirklich? Es wird so getan, als würde die Diktatur durch den Kunden die Situation automa­tisch verbessern. Den Milch­bauern ist das zum Beispiel gar nicht gut bekommen.

Das alleinige Argument für die Verge­sell­schaftung digitaler Inhalte ist also, dass das Urheber­recht dem Gemeinwohl dienen soll. Und wenn es ihm nicht freiwillig dient, hol ich’s mir selbst. Die billige Polemik, die gierigen Platten-, Filmfirmen und Verlage zum Sündenbock machen zu wollen, erinnert an die Recht­fer­tigung vom Teenager, der im Kaufhaus klaut: Es trifft ja nur die reichen Bonzen. Oder das Argument des Schwarz­fahrers: Die U-Bahn fährt ja sowieso. In Wahrheit gibt es nur einen einzigen Grund, warum das Urheber­recht in Gefahr ist: Die neuen techni­schen Gegeben­heiten machen es so leicht, es zu verletzen.

Natürlich muss sich das Urheber­recht neuen Heraus­for­de­rungen und techni­schen Entwick­lungen anpassen, was es seit Anbeginn auch konti­nu­ierlich getan hat. Hätte nicht der Staat die Pflicht, bei einem versa­genden Markt genau dann einzu­greifen, wenn er die bestehende Situation verbessern kann? Eine entspre­chende Anpassung des Urheber­rechts steht zur Entscheidung an, liegt aber schon lange auf Eis, weil Justiz­mi­nis­terin Sabine Leutheusser-Schnar­ren­berger die Dring­lichkeit nicht erkennt.

Das Angebot legaler Möglich­keiten, Unter­haltung im Netz zu konsu­mieren, hat sich in den vergan­genen Jahren verviel­facht. Trotzdem werden in Deutschland beim heimi­schen Filmkonsum weniger als fünf Prozent mit legalen Downloads umgesetzt. Gleich­zeitig ist auch Musik weltweit zu histo­risch niedrigen Preisen erhältlich. Das Netz braucht also neue Geschäfts­mo­delle, aber solange der Preis von Platt­formen wie Megau­pload und Kino.to vorge­geben wird, die die Inhalte zum eigenen Gewinn, aber ohne Betei­ligung von Urhebern, Herstellern und Verwertern verbreiten, wird das nicht möglich sein.

Ohne recht­liche Rahmen­be­din­gungen, die mit der techno­lo­gi­schen Entwicklung Schritt halten und die es Urhebern und Verwertern ermög­lichen, ihre Produkte effektiv zu schützen, schreitet die Gratis-Menta­lität weiter voran. Und das Unrechts­be­wusstsein schwindet. Viele nehmen inzwi­schen den Gratis-Download als ihr gutes Recht wahr, das es gegen die sogenannte Content-Mafia zu vertei­digen gilt. Diese Haltung hat mit entspre­chender publi­zis­ti­scher Begleitung eine ungeheure Eigen­dy­namik entfaltet bis hin zu einer eigenen Partei, deren Name den Inter­net­da­tenklau roman­tisch verklärt, und einer populis­ti­schen Sogwirkung bis weit in die etablierten Parteien hinein.

Verständlich ist ja, dass die digitale Variante von „Freibier jederzeit und für alle“ unwider­stehlich verlo­ckend ist. Doch gleich­zeitig ist offen­sichtlich, dass diese Rechnung nicht aufgehen und es am Ende gar kein Bier mehr geben kann.

Moszkowicz, 53, ist Filmpro­duzent („Das Parfum“, „Die Päpstin“, „Wickie“) und sitzt im Vorstand der Münchner Constantin Film AG.