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Klammermaterial: Problem für Dokumentarfilmer

In einem ausführ­lichen Artikel setzt sich Tilmann P. Gangloff in epd Medien mit dem Problem der Verwendung von Archiv­ma­terial bei Dokumen­ta­tionen ausein­ander. Autoren wie Lutz Hachmeister beklagten, dass ARD und ZDF ihre Archive im Umweg über Tochter­firmen als „Profit­center“ betrach­teten und die Preise über dem üblichen Preis­gefüge lägen. Sprecher von ARD und ZDF wiesen die Vorwürfe unisono zurück. Hachmeister glaube nicht, dass sich in abseh­barer Zeit etwas ändern werde. Die AG Dok sei zu schwach, um ihr Vorhaben durch­zu­setzen, und für einen mächtigen Verband wie die Allianz der deutschen Film- und Fernseh­pro­du­zenten sei das Thema „zu randständig“. Einen Vorschlag zur Lösung habe man dort dennoch: Nach Ansicht von Oliver Castendyk, Wissen­schaft­licher Direktor der Produ­zen­ten­al­lianz, sollten Klammer­teil­rechte von Auftrags­pro­duk­tionen „wie in Spanien von allen Betei­ligten in eine Verwer­tungs­ge­sell­schaft einge­bracht werden, die die Ausschnitte nicht-exklusiv an Dritte lizen­ziert. Dann wären die Preise moderater, und auch Urheber und Produ­zenten hätten finan­ziell etwas von der Verwertung.“ In der Grauzone (frei zugänglich)

Wir bringen den Beitrag im Wortlaut und danken epd Medien sehr herzlich für die Erlaubnis.

In der Grauzone

Bei Archiv­auf­nahmen bleiben Rechte häufig ungeklärt / Von Tilmann P. Gangloff

epd Der Schrift­verkehr füllt mittler­weile einen schmalen Akten­ordner: 18 Monate lang musste der Autor, Regisseur und Produzent Peter Ohlendorf mit dem ZDF korre­spon­dieren, bis beide Seiten endlich Einigung erzielten. Dabei hatte eigentlich alles gut angefangen, wie der Dokumen­tar­filmer (zuletzt „Blut muss fließen – Under­cover unter Nazis“) erzählt. Im Juni 2009 hatte er für die 3sat-Sendung „Börsen­ma­gazin“ einen Beitrag erstellt. Er war damals „positiv überrascht, endlich mal wieder eine Zusam­men­arbeit zu erleben, die reibungslos funktio­niert.“ Zu früh gefreut: Als Ohlendorf die Redaktion nach der Ausstrahlung des Beitrags daran erinnerte, dass die Lizenz­rechte für das verwendete Material noch zu klären seien, war dies der Beginn eines ausführ­lichen Schrift­wechsels.

Ein Jahr zuvor hatte der WDR Ohlen­dorfs Film „Grenzen der Globa­li­sierung“ gezeigt. Material daraus war nun auch in den vier Minuten langen 3sat-Beitrag geflossen – ein ganz normaler Vorgang. Die Lizenz­rechte an dem früheren Film, der Archiv­ma­terial vom NDR enthält, liegen beim WDR sowie beim Autor selbst. Als ihm das ZDF drei Wochen nach der Ausstrahlung den Vertrag über den 3sat-Beitrag schickte, stellte Ohlendorf fest, dass die Lizenz­frage nicht geklärt war: „Statt dessen stand ich als allei­niger Rechte­inhaber im Vertrag, und als solcher sollte ich dem ZDF die gesamten Lizenz­rechte unbefristet übertragen.“ Ihm wurde nahegelegt, den Vertrag zu unter­schreiben, andern­falls müsse er damit rechnen, dass ihm statt des verein­barten Honorars in Höhe von 2.400 Euro nur die Hälfte überwiesen werde. Falls der WDR etwas merken solle, hieß es noch, müsse er das selbst regeln.

Ohlendorf war einiger­maßen schockiert und ist es immer noch: „Für die Art und Weise, wie hier im Namen des ZDF vorge­gangen worden ist, gibt es wohl eindeutige juris­tische Begriff­lich­keiten.“ Er fragt sich, ob die Praxis „mit ‚all inclusive’-Verträgen zu wahren Dumping­preisen“ heute „zum Standard­pro­gramm des ZDF im Umgang mit freien Produ­zenten“ gehöre. Ohlendorf hat nach eigenem Bekunden „schon einiges im Fernseh­ge­schäft erlebt“, aber er hätte nie erwartet, „dass in einem öffentlich-recht­lichen Sender so unpro­fes­sionell und zugleich so unseriös vorge­gangen wird.“

„All inclusive“

Ein Jahr nach der Ausstrahlung seines Beitrags wartete der Autor noch immer auf sein Honorar. Zwischen­zeitlich hatte das ZDF zwar akzep­tiert, dass die Lizenz­rechte für das verwendete Material vom Sender selber erworben werden, aber es gab einen Diskurs über die Höhe der Zahlungen, wie die seiten­lange E-Mail-Korre­spondenz dokumen­tiert. Anfang 2011 ist das ZDF schließlich in jeder Hinsicht auf Ohlen­dorfs Position einge­gangen: Der Sender übernahm die Vergütung der Lizenz­rechte für den Beitrag und akzep­tierte die finan­zi­ellen Forde­rungen für die Reali­sierung des Magazin­stücks.

Das ZDF tut den Vorgang als Einzelfall ab. Laut Unter­neh­mens­sprecher Alexander Stock wurde „erst nach dem Programm­ankauf für das 3sat-Börsen­ma­gazin mitge­teilt, dass die Rechtslage in Bezug auf das WDR-Material ungeklärt war. Im Wege von Nachver­hand­lungen erhielt Herr Ohlendorf vom ZDF für die nicht exklu­siven Rechte an dem Material eine angemessene und die Inter­essen von Herrn Ohlendorf wahrende Vergütung.“ Aus Sicht des ZDF sei das Ganze ein „sehr exzep­tio­neller Fall“ gewesen: „Die meisten Autoren halten sich an die Spiel­regeln.“ Daher ließen sich auch keine allge­meinen Rückschlüsse auf die Abgeltung von Archiv­rechten oder die Vergütung von Produ­zenten ziehen: „Dafür bestehen bekanntlich urheber­ver­trag­liche Regelungs­werke des ZDF mit Produ­zenten- und Urheber­ver­bänden, die teilweise erst kürzlich abgeschlossen wurden.“

Verhalten von Monopo­listen

Für Ohlendorf ist der Fall dennoch exempla­risch: „Die Situation für kleine Filmpro­du­zenten wird seit geraumer Zeit schwie­riger, das Auftreten der öffentlich-recht­lichen Sender ähnelt immer mehr dem Verhalten von Monopo­listen, die ihre Macht tenden­ziell missbrauchen.“ Das geschehe in vielerlei Hinsicht, etwa durch die Ausla­gerung von Aufgaben auf die Produ­zenten „ohne jede zusätz­liche Honorierung etwa für die Recherche und die Verwendung von Archiv­ma­terial oder durch ziemlich willkür­liche Kürzungen der Produk­ti­ons­gelder.“ Der Wider­stand gegen dieses Geschäfts­ge­baren halte sich bedau­er­li­cher­weise in Grenzen: „Wer aufmuckt, könnte ja mit Konse­quenzen rechnen müssen und keine Aufträge mehr bekommen.“ Auch die Gewerk­schaften verhielten sich in dieser Frage „sehr defensiv“.

Ohlendorf betont, es gehe ihm nicht um Revanche. Er frage sich aber, ob hinter seinem Vorgang ein System stecke: „Werden Archiv­rechte einfach auf gut Glück von Produ­zenten übernommen, obwohl sie diese Rechte gar nicht halten, dann hat das ZDF weniger Arbeit und spart sich auch noch das Geld für das Ablösen der Rechte.“ Der zuständige Produk­ti­ons­leiter des ZDF habe ihn zu diesem Verhalten nicht nur ermuntert, sondern ihn regel­recht dazu aufge­fordert. Offenbar lehre die Erfahrung, dass man damit durch­komme, denn welcher Sender habe schon „Zeit zur Kontrolle für das unerlaubte ‚Abgreifen’ von Archiv­ma­terial“. Ohlendorf hätte sich gern mit den Verant­wort­lichen des ZDF über das Thema ausge­tauscht, aber auf entspre­chende Anfragen sei nicht reagiert worden. Nun hofft er, dass die Publi­kation des Falles „ein Steinchen ins Rollen bringt.“

Tatsächlich gibt es noch diverse andere Steinchen, und vermutlich hätte Thomas Frickel nichts dagegen, wenn irgendwann ein Erdrutsch daraus wird. Der Geschäfts­führer der Arbeits­ge­mein­schaft Dokumen­tarfilm (AG Dok) spricht von einer grund­sätz­lichen „Misere der Vergütung im Dokumen­tar­film­be­reich“: Wolle ein Autor in einem Film „Klammer­ma­terial“ verwenden, also Material aus einem anderen Film, ließen die Sender sich dies je nach Nutzungs­umfang mit bis zu 4.500 Euro pro Minute vergüten. „Der Sender verlangt für dieses Material also deutlich höhere Minuten­preise, als er für neue Produk­tionen zahlt. Die Urheber werden an diesen Geschäften ohnehin nicht beteiligt. Statt dessen wird von ihnen erwartet, dass sie die Rechte am Klammer­ma­terial kostenlos abtreten. Aber wenn sie selbst auf dieses­Ma­terial zurück­greifen wollen, wird das zurück­ge­wiesen. Da wird mit zweierlei Maß gemessen. Hier nutzen auch öffentlich-recht­liche Sender ziemlich schamlos ihre markt­be­herr­schende Situation aus.“

Lutz Hachmeister, Autor und Regisseur unter anderem von Filmen über Joe McCarthy („The Real American“) und Hanns Martin Schleyer („Schleyer – Eine deutsche Geschichte“), bestätigt Frickels Aussage. Seiner Meinung nach betrach­teten ARD und ZDF ihre Archive im Umweg über Tochter­firmen wie Studio Hamburg (NDR) oder ZDF Enter­prises als „Profit­center“. Die Preise, die beispiels­weise ZDF Enter­prises für Archiv­ma­terial verlange, lägen noch über dem üblichen Preis­gefüge: „Auslän­dische Archive sind oft billiger.“

Markt­üb­liche Kondi­tionen

Sprecher von ARD und ZDF weisen die Vorwürfe unisono zurück. Mit einer „allge­mein­gül­tigen Angabe zu Minuten­kosten von ‚Klammer­ma­terial’“ könne er nicht dienen, sagt Martin Gartzke (NDR), „weil diese vom Material und dem Nutzungs­zweck abhängen“. Unter den öffentlich-recht­lichen Anstalten werde Klammer­ma­terial „weitgehend kostenfrei im Rahmen des sogenannten Programm­aus­tau­sches abgegeben.“ Bei Abgabe für andere Zwecke, zum Beispiel für Sendungen der privaten Konkurrenz, würden Klammer­teile „zu markt­üb­lichen Kondi­tionen durch unsere Verwer­tungs­tochter abgegeben, soweit entspre­chende Rechte überhaupt beim NDR verfügbar sind.“ In der Praxis würden die Kosten „in aller Regel“ im Rahmen der Kalku­lation einer Auftrags­pro­duktion an den Auftrag­geber weiter­geben, „sie müssen nicht vom Autor getragen werden.“ Gartzke findet es ohnehin „proble­ma­tisch“, Rechte- und Bearbei­tungs­kosten einer­seits und Autoren­ho­norare anderer­seits in einen Topf zu werfen, „da es sich um verschiedene Kategorien und Kosten­po­si­tionen einer Produktion handelt“.

Auch beim ZDF, so Stock, gebe es keine Pauschal­preise: „Die Minuten­preise beim kommer­zi­ellen Vertrieb beginnen bei etwa 500 Euro. Je nach Qualität und Umfang der Rechte kann sich der Betrag aber deutlich erhöhen.“ Das ZDF sei staats­ver­traglich und europa­rechtlich verpflichtet, sich markt­wirt­schaftlich zu verhalten: „Die Produ­zenten sind Markt­teil­nehmer. Wenn sie Leistungen des ZDF in Anspruch nehmen wollen, müssen sie dafür bezahlen.“ Arbeite ein Autor für das ZDF, müsse er für hausei­genes Archiv­ma­terial nichts zahlen, „im Gegenteil: Die Redak­tionen stellen das Material in der Regel selbst zusammen.“

Auch der SWR lässt mitteilen, Lizenz­ge­bühren fielen nur bei Auftrags­pro­duk­tionen an. Man orien­tiere sich an einer Preis­liste, es gebe aber auch „die Möglichkeit einer pauschalen Abrechnung, wenn es um mehr als bloß eine Minute geht. Die Kosten sind immer eine Frage der Rechte: je umfang­reicher die Verwertung, desto teurer.“ Am teuersten sei „all media“: sämtliche Rechte für sämtliche Medien, also inklusive auch der weltweiten DVD-Rechte. Eigen­pro­duk­tionen liefen dagegen über den Programm­aus­tausch innerhalb der ARD-Sender sowie zwischen ARD und ZDF: „Da zahlt man nur eine Bearbei­tungs­gebühr von 150 Euro.“

Der WDR bestätigt diese Zahl. Beim Kölner Sender werden solche Vorgänge im Zuge der Programm­ver­wertung über die Tochter WDR Media­group abgewi­ckelt. Zur Pauschale von 150 Euro kämen aller­dings noch Kosten etwa für das Kopieren auf Digibeta oder die Überspielung. Bei Produ­zenten, die für kommer­zielle Sender oder Dritte arbeiten, werde ein indivi­du­elles Angebot „abhängig von der angefragten Nutzung und der Lizenz­dauer erstellt“, erläutert eine Sprecherin. Die Lizenz beinhalte in der Regel eine Ausstrahlung und eine Wieder­holung. Unabhängig von dieser Praxis „finden sich in zahlreichen Verträgen mit den von uns beauf­tragten Produ­zenten Klauseln, gemäß derer von uns Archiv­ma­terial in einem definierten Rahmen beigestellt wird.“

Das Risiko trägt der Autor

Frickel bleibt dennoch bei seiner Aussage, die Forde­rungen der Sender verhin­derten, dass bestimmte Filme gemacht werden, „weil es sich kaum ein Produzent leisten kann, in größerem Umfang Archiv­ma­terial zu verwenden. Konzi­piert ein Autor einen Kompi­la­ti­onsfilm mit Archiv­ma­terial aus dem ‚Dritten Reich’, könnte nicht einmal der weltweite Verkauf in alle verfüg­baren Terri­torien die dafür erfor­der­lichen Rechte­kosten decken.“ Arbeite ein Autor mit Fremd­ma­terial, „muss er mit seiner Unter­schrift bestä­tigen, dass alle Rechte geklärt sind. Sollte sich später heraus­stellen, dass dies nicht der Fall war, liegt das Problem allein bei ihm.“

Hachmeister rät den Autoren daher, sich das Archiv­ma­terial „beistellen“ zu lassen und dies auch vertraglich festzu­halten: „Wenn ARD oder ZDF einen Film unbedingt wollen, sind sie auch bereit zu verhandeln.“ Bei seinem McCarthy-Film zum Beispiel seien erheb­liche Kosten angefallen, die ZDF Enter­prises übernommen habe.

Einige lassen es offenbar drauf ankommen. Natur­gemäß möchte niemand seinen Namen in diesem Zusam­menhang lesen, aber so mancher Autor speku­liert insgeheim darauf, dass die betrof­fenen Sender es gar nicht mitbe­kommen, wenn Material aus ihren Produk­tionen verwendet wird. Schon die Begriff­lich­keiten verdeut­lichen, wie zwielichtig sie dieses Verhalten selbst finden: Da ist von „Wildwuchs“ und „Glatteis“ die Rede, von einer „Grauzone“ und „vielen Fallstricken“. Ein Autor beschreibt die offenbar gängige Praxis, sich Material aus dem Ausland zu beschaffen: „Man klickt sich in die Mediathek eines auslän­di­schen Senders, kopiert die Szenen mit Hilfe einer entspre­chenden Software auf die eigene Festplatte und kann sie auf diese Weise später verwenden.“ Bei inlän­di­schen Media­theken funktio­niert das natürlich auch, aber da ist die Gefahr, erwischt zu werden, größer.

Klärung der Rechte­frage

Autoren recht­fer­tigen die Vorge­hens­weise mit unter­schied­lichen Begrün­dungen. Die Rechte­frage sei „die Achil­les­ferse“ vieler Dokumen­tar­filme und Dokumen­ta­tionen, heißt es. Ein Autor sagt: „Man bekommt Rechte auch schon für 100 Euro pro Minute, aber nach oben ist die Skala offen. Mitunter wird sogar sekun­den­genau abgerechnet.“ Gerade Künst­ler­por­träts enthielten in der Regel viel Archiv­ma­terial, solche Projekte wären von vornherein zum Scheitern verur­teilt, zumal einige Archive Gebühren dafür verlangen, dass man ihr Material überhaupt sichten dürfe. Allein der Sichtungs­vorgang sei ein enormer Aufwand, der in der Regel vom Auftrag­geber nicht honoriert werde.

Früher habe sich die Abteilung Honorare und Lizenzen bei den Sendern um die Abklärung der Rechte gekümmert, sagt ein Autor, aber mittler­weile werde diese Arbeit zunehmend auf die Autoren übertragen, das erhöhe den Aufwand. Oft sei unklar, wem die Rechte gehören, dass müsse erst mühsam recher­chiert werden. „Man muss das unbedingt vorher erledigen; ist der Film erst mal fertig, ist man den Rechte­inhabern völlig ausge­liefert“, sagt der Autor. „Unseriöse Produ­zenten lassen ihre Autoren in dem Glauben, sie würden sich um die Klärung der Rechte­frage kümmern, sparen sich aber das Geld und lassen es darauf ankommen. Der Dumme ist am Ende der Autor, denn der wird zur Verant­wortung gezogen.“

Der Autor wünscht sich daher ein „,Gentleman’s Agreement’, das die Kosten für Archiv­ma­terial in einer vernünf­tigen Höhe festlegt.“ Anderer­seits sei man ja auch selbst Urheber und „freut sich natürlich, wenn man für einen älteren Film unver­hofft noch mal Geld bekommt.“ In der Regel profi­tierten dank des „Total Buyout“ aber ohnehin nur die Sender: „An solchen Punkten zeigt sich, ob eine Redaktion respek­tiert, unter welchen Bedin­gungen ein Film zustande kommt. Die einen zeigen sich sehr solida­risch, die anderen inter­es­sieren sich einen Dreck für dich.“ Unter bestimmten Bedin­gungen haben die Autoren sogar Verständnis für die Lage der Produ­zenten: „Nehmen wir mal Flugauf­nahmen. Die sind meistens irre teuer, weil ja oft schon allein das nötige Equipment mehrere hundert­tausend Euro kostet. Meist braucht man auch spezia­li­sierte Kamera­leute. Wenn ein Produzent in so einem Fall sein Material in einem fremden Film entdeckt, kann ich gut verstehen, dass er Radau macht.“

„Fair-Use-Praxis“

Juris­tische Konse­quenzen werden aller­dings offenbar eher selten gezogen, anscheinend einigt man sich meist außer­ge­richtlich. Gleiches gilt für die Sender, wie Stock bestätigt. Er kann sich spontan nicht erinnern, dass das ZDF schon mal geklagt habe, weil ein Autor ohne Absprache Material verwendet habe: „Klagen ist ohnehin nicht unser Stil, aber so etwas kommt auch nur sehr selten vor.“

Um das Thema ein für alle mal zu klären, plädiert die AG Dok laut Frickel „in Anlehnung an die ‚fair use’-Praxis in den USA für ein erwei­tertes Zitat­recht, das die Verwendung von Klammer­ma­terial in einem bestimmten Rahmen erlaubt.“ Zu dem Themen­komplex gehörten auch die Musik­rechte: „Wenn bei Drehar­beiten irgendwo zufällig Musik läuft, muss sie aus dem fertigen Film entfernt werden, weil man sonst mit gigan­ti­schen Forde­rungen der Musik­in­dustrie rechnen muss.“ Die AG Dok schließe sich daher der Forderung der Journa­lis­ten­ver­bände nach „Panora­ma­freiheit“ an: „Bilder und Töne aus dem öffent­lichen Raum sollten kostenfrei verwendet werden dürfen.“

In einem internen Diskus­si­ons­papier zum Urheber­recht heißt es: „Als Dokumen­tar­film­schaf­fende tangiert uns die Proble­matik von zwei Seiten. Einer­seits wollen wir nicht, dass unsere eigenen Werke unauto­ri­siert und vergü­tungsfrei von Dritten genutzt werden, auf der anderen Seite sind wir ständig darauf angewiesen, für unsere Arbeit zu bezahl­baren Kondi­tionen auf Fremd­ma­terial zugreifen zu können. Verbots­rechte und horrende Lizenz­preise machen es oft unmöglich, mit Klammer­ma­terial oder rein dokumen­ta­ri­schen Aufnahmen zu arbeiten. Unter Verweis auf das Urheber­recht greift die ‚Priva­ti­sierung der Wirklichkeit’ immer weiter um sich.“ Aber natürlich, ergänzt Frickel, „können wir von anderen nur das verlangen, was wir selbst zu geben bereit sind.“

Hachmeister glaubt aller­dings nicht, dass sich in abseh­barer Zeit etwas ändern werde. Die AG Dok sei zu schwach, um ihr Vorhaben durch­zu­setzen, und für einen mächtigen Verband wie die Allianz der deutschen Film- und Fernseh­pro­du­zenten sei das Thema „zu randständig“. Einen Vorschlag zur Lösung hat man dort dennoch: Nach Ansicht von Oliver Castendyk, Wissen­schaft­licher Direktor der Produ­zen­ten­al­lianz, sollten Klammer­teil­rechte von Auftrags­pro­duk­tionen „wie in Spanien von allen Betei­ligten in eine Verwer­tungs­ge­sell­schaft einge­bracht werden, die die Ausschnitte nicht-exklusiv an Dritte lizen­ziert. Dann wären die Preise moderater, und auch Urheber und Produ­zenten hätten finan­ziell etwas von der Verwertung.“ Die AG Dok plant ein Symposium zu diesem Thema, das der Branche unter Garantie noch eine Weile erhalten bleiben wird.

Aus epd Medien Nr. 23/2012, S. 7-10