Skip to main content
News

Urheberrecht: „Lob der Content-Mafia“

„Der Schutz des geistigen Eigentums hat genauso seinen Grund wie der Schutz des Sachei­gentums“, schreibt Reinhard Müller in der Frank­furter Allge­meinen. Es bleibe weiterhin jedem unbenommen, sein Werk kostenfrei ins Netz zu stellen, aber sowenig Verträge aufge­zwungen werden dürfen, so wenig gebe es ein Grund­recht auf Kosten­freiheit für die Verwertung geistigen Eigentums: „So können nur prälegale Ignoranten mit Gratis-Fetisch argumen­tieren“: Jeder Mensch hat ein Urheber­recht (frei zugänglich)

Die Behauptung, das Urheber­recht behindere Freiheit und Kreati­vität, sei „populis­ti­scher Unsinn“, schreibt Konstantin Wegner, Rechts­anwalt und Justiziar des Börsen­vereins des deutschen Buchhandels/Landesverband Bayern, in einem Gastbeitrag in der Süddeut­schen Zeitung. Der recht­liche Schutz schaffe gerade Anreize für kreatives Wirken, er schaffe die wirtschaft­liche Basis für Kreati­vität und habe unserer Gesell­schaft ihre kultu­relle Vielfalt beschert: Lob der Content-Mafia

Der Beitrag im Wortlaut:

Lob der Content-Mafia

Das Urheber­recht behindert Freiheit und Kreati­vität? Das ist populis­ti­scher Unsinn / Von Konstantin Wegner

Das Urheber­recht steht in der Kritik: Es gebe zu viel Schutz, heißt es, der kreatives Schaffen und den Austausch kultu­rellen Wissens blockiere. Gefordert wird statt­dessen ein freierer Zugang zu geschützten Werken. Erst die viel zitierte Wutrede des Sängers und Schrift­stellers Sven Regener (Element of Crime, ‚Herr Lehmann‘) hat einen Kontra­punkt gesetzt.

Im tiefen Mittel­alter konnte sich der Heraus­geber des Sachsen­spiegels, Eike von Repgow, in Erman­gelung jeglicher Rechte an seinem Werk nur mit einem Bücher­fluch behelfen: Er wünschte Kopisten seiner Texte den Aussatz an den Hals. Eine seinerzeit gängige, aber wohl nicht in jedem Fall wirksame Methode. Erst mit der Erfindung des Buchdrucks rückte im Lichte der Aufklärung der Wert immate­ri­eller Leistungen in das Bewusstsein, etwa durch Johann Gottlieb Fichte, der in seiner Abhandlung ‚Beweis der Unrecht­mä­ßigkeit des Bücher­nach­drucks‘ (1793) festhielt: ‚Wir können an einem Buche zweierlei unter­scheiden: das körper­liche desselben, das bedruckte Papier; und sein geistiges.‘

Unser heutiges Urheber­recht basiert auf diesem Gedanken der Aufklärung: Das kreative Schaffen einer Person ist schüt­zenswert. Gegen­stand dieses Schutzes ist die ‚persön­liche geistige Schöpfung‘, womit bereits das gesetz­liche Kernan­liegen zum Ausdruck kommt: die Geistes­leistung als schutz­wür­diges Gut, die kreative ‚Schöp­fungshöhe‘ als Schutz­vor­aus­setzung und die unauf­lösbare Verbindung des Urhebers mit seinem Werk, die ökono­mische wie ideelle Inter­essen umfasst.

Wenn mancher in der ‚Netzge­meinde‘ die Gefahr der Monopo­li­sierung von Fakten, Ideen oder wissen­schaft­lichen Erkennt­nissen durch das Urheber­recht beschwört, dann ist dies populis­ti­scher Unsinn. Das Urheber­recht schützt den Ausdruck, den die Gedanken des Urhebers gefunden haben, die konkrete Form eines Werkes – aber eben nicht den Gedanken selber, die Idee oder die dem Werk zugrun­de­lie­genden Tatsachen. Jeder darf eine Biographie auf Basis recher­chierter Fakten, jeder einen Roman über den Niedergang einer Kaufmanns­fa­milie im Lübeck des 19. Jahrhun­derts schreiben, aber eben nicht mit denselben Worten, die Thomas Mann dafür gefunden hat.

Natürlich versetzt das Urheber­recht den Inhaber in die Lage, allein zu bestimmen, ob, wann und wie sein Werk veröf­fent­licht und verwertet wird. Es hat aber zugleich die Inter­essen der Öffent­lichkeit im Blick, sodass ein Urheber ungleich stärkere Eingriffe in seine Rechte hinnehmen muss als etwa ein Grund­stücks­ei­gen­tümer in seinen Grund und Boden. Die ‚Tatort‘-Autoren weisen in ihrem offenen Brief vom 29. März mit Recht darauf hin, dass freier Zugang zu Kultur­gütern nicht deren kosten­freie Verfüg­barkeit bedeutet – wenn aber das Urheber­rechts­gesetz das Zitieren von Werken, die Verbreitung von tages­ak­tu­ellen Nachrichten, von Werken im Schul­un­ter­richt und an Univer­si­täten, deren nicht­kom­mer­zielle öffent­liche Wiedergabe, die Privat­kopie und vieles mehr erlaubt, dann ist das für den Nutzer nicht nur frei, sondern sogar kostenfrei.

Der recht­liche Schutz nun schafft gerade Anreize für kreatives Wirken. Er schafft die wirtschaft­liche Basis für Kreati­vität und hat unserer Gesell­schaft ihre kultu­relle Vielfalt beschert. Es erscheinen Bücher, geschrieben von Autoren, illus­triert von Fotografen, verlegt von Klein- oder auch Konzern­ver­lagen – ähnlich produktiv sind Musik, Film, Theater und bildende Kunst.

Mit der digitalen Verfüg­barkeit dieser begrifflich auf ‚Inhalte‘ reduzierten Schöp­fungen sind die Maßstäbe verlo­ren­ge­gangen. Der Content wird kopiert und ohne Skrupel herum­ge­reicht. Die anonyme Leich­tigkeit der Tat wird zu ihrer Legiti­mation – oder wie Sven Regener es formu­liert: ‚Es wird so getan, als ob wir Kunst machen würden als exzen­tri­sches Hobby. Und das Rumge­trampel darauf, dass wir irgendwie uncool seien, wenn wir darauf beharren, dass wir diese Werke geschaffen haben, ist im Grunde genommen nichts anderes, als dass man uns ins Gesicht pinkelt – und sagt, euer Kram ist eigentlich nichts wert.‘ Und warum ist das Urheber­recht uncool geworden? Aus Gedan­ken­lo­sigkeit, Bequem­lichkeit und reinem Egoismus.

Natürlich hat die ‚Verwer­ter­seite‘ Fehler gemacht. Die Musik­in­dustrie hat jahrelang vor allem auf Pirate­rie­ver­folgung gesetzt anstatt auf überzeu­gende, einfache digitale Geschäfts­mo­delle – und es sich so auch mit zahlungs­wil­ligen Kunden verscherzt. Aber die Lage hat sich geändert: Filme, Bücher, Hörspiele, Software, Musik – alles ist mittler­weile legal und zu angemes­senen Preisen im Netz erhältlich. Es gibt überhaupt keinen Grund mehr, bei Rapidshare & Co. zu saugen – es sei denn, man möchte sich auf illegalem Wege ungerecht­fer­tigte Vorteile verschaffen, auf Kosten der Kreativen, Verlage und Produ­zenten. Was zum Leidwesen aller ausgehen muss. Die Erlöse sämtlicher Medien­branchen sind rückläufig, nicht zuletzt verur­sacht durch die Inter­net­pi­ra­terie – und weniger Erlöse bedeuten unabwendbar auch weniger Geld für neue Projekte, kultu­relle Vielfalt und natürlich die Künstler.

Es lässt sich darüber disku­tieren, ob es richtig ist, die – im Kern gerecht­fer­tigten – Abmah­nungen von Rechte­ver­letzern mit Schadens­er­satz­for­de­rungen in vierstel­liger Höhe zu verbinden (die Regel ist dies übrigens entgegen allem öffent­lichen Getöse nicht). Den Zahlen aber, die über Abmahn­fälle und angeblich hieraus gezogene Gewinne der Medien­in­dustrie herum­geistern, fehlt jede nachvoll­ziehbare Grundlage – doch einmal in die Welt gesetzt, werden sie dankbar aufge­griffen, um die eigene Position im Deutungs­wett­streit um die Zukunft des Urheber­rechts zu unter­mauern.

Die Anzahl der Abmahn­fälle, die auch Jürgen Ziemer in seinem Artikel ‚Goldene Eier‘ (SZ vom 20. März 2012) verbreitet, basiert überwiegend auf einer Schätzung der Abmahn­kri­tiker, deren Grundlage unter anderem die Akten-Numme­rierung der betei­ligten Anwalts­kanz­leien sind, die zwar viele Inter­net­pi­ra­te­rie­mandate, aber eben auch andere Fälle bearbeiten. Auch wird nicht erwähnt, dass selbst nach Angaben der Abmahn­kri­tiker die Anzahl der Abmah­nungen von 2010 auf 2011 um etwa 40 Prozent zurückging und nur etwa 10 Prozent der Abgemahnten freiwillig bezahlen. Es wird auf Basis dieser willkür­lichen Fallzahlen ein ebenso willkür­licher Abmah­n­erlös hochge­rechnet und so getan, als ob dieser ungefiltert in die riesigen Taschen einer maßlosen Verwerter-, gar ‚Abmahn­in­dustrie‘ flösse. Ohne zu berück­sich­tigen, dass aufwendige Ermitt­lungen notwendig sind, bis die IP-Adressen der User gerichtsfest dokumen­tiert sind; dass Gerichts­ge­bühren bezahlt werden müssen, da die Inter­net­pro­vider zum Schutze der User nicht ohne richter­lichen Beschluss verpflichtet sind, die hinter der IP-Adresse verborgene Identität preis­zu­geben; dass manche Provider diese Daten bereits nach wenigen Tagen löschen und die Auskunfts­be­mü­hungen daher ins Leere gehen – die Liste ließe sich fortsetzen.

Dennoch werden die falschen Zahlen zur Grundlage der öffent­lichen Kritik gemacht. Dies rampo­niert den Ruf der Verlags-, Film- und Musik­branche – vorgestrige Besitz­stands­wahrer! – und prägt die Bericht­erstattung über das Verhältnis zwischen den Urhebern und Verwertern. Der Verleger Gottfried Honne­felder, Vorsteher des Börsen­vereins des deutschen Buchhandels, hat zur Leipziger Buchmesse neulich eine Eröff­nungsrede gehalten, sozusagen die Sven-Regener-Rede für die Buchbranche: ‚Bislang habe ich meinen Beruf als kreativ erlebt. Ich habe Texte und Inhalte gefunden, bei denen ich für wichtig erachtete, dass sie publi­ziert würden, ich habe dabei vertrau­ensvoll mit Autorinnen und Autoren zusam­men­ge­ar­beitet, habe mit ihnen Rechte und Pflichten geteilt, habe mit Lektoren und Mitar­beitern disku­tiert und es als die schönste Aufgabe des Verlegers empfunden, aus unschein­baren Manuskripten wirkmächtige Bücher machen zu können. Jetzt lese ich, die Verlags­men­schen seien als Rechte­ver­werter, Inhaber von Nutzungs­rechten, als Makler von Inhalten Angehörige einer Content-Mafia.‘

So wie ihm geht es den meisten Verlegern, die eine intensive, kreative und oft auch freund­schaft­liche Beziehung zu ihren Autoren pflegen. Viele von diesen erhalten Honorar­vor­schüsse, die ihnen unabhängig davon verbleiben, wie erfolg­reich oder eben schlecht sich das Buch anschließend verkauft. Der Öffent­lichkeit aber wird sugge­riert, es gäbe eine unüber­brückbare Front zwischen Kreativen und der angeblich so rendi­te­starken Verbrei­ter­branche.

Die Piraten­partei fordert auf ihrer Homepage, es sollten die ‚Chancen der allge­meinen Verfüg­barkeit von Werken erkannt und genutzt werden‘, da sich ‚die Kopier­barkeit von digital vorlie­genden Werken technisch nicht sinnvoll einschränken lässt und die flächen­de­ckende Durch­setz­barkeit von Verboten im privaten Lebens­be­reich als gescheitert betrachtet werden‘ müsse. Die Schutz­fristen sollten drastisch verkürzt werden, weil ‚die Rückführung von Werken in den öffent­lichen Raum‘ im Sinne der ‚Nachhal­tigkeit der mensch­lichen Schöp­fungs­fä­hig­keiten von essen­ti­eller Wichtigkeit‘ sei. Das aber hat mit dem propa­gierten Freiheits­ge­danken wirklich gar nichts zu tun. Freiheit bedeutet, dass der Künstler selber entscheiden kann, ob, wann und wie sein Werk veröf­fent­licht wird – und sei es auch, dass er entscheidet, der Öffent­lichkeit die Nutzung im Wege einer ‚free licence‘ kostenlos zu gestatten. Aber es bleibt seine eigene, freie Entscheidung – die ihm niemand unter der schein­hei­ligen Forderung nach freiem Wissens­zugang abzunehmen hat.

Fichte schrieb in seiner schon zitierten Abhandlung zur Unrecht­mä­ßigkeit des Bücher­nach­drucks: ‚Wer schlechte Gründe verdrängt, macht bessern Platz.‘ Das bleibt zu hoffen – im Sinne der Aufklärung.

Der Autor ist Rechts­anwalt und Justiziar des Börsen­vereins des deutschen Buchhandels/Landesverband Bayern.

Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 4. April 2012, S. 13 – Feuil­leton / Wiedergabe mit freund­licher Geneh­migung des Verfassers