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ARD und ZDF: Es wird Zeit den Zuschauer ernst zu nehmen

Mehrere Journa­listen fordern in der aktuellen Ausgabe von Der Spiegel (Ausgabe Nr. 41 vom 7.10.2017, S. 10-16) unter dem Titel „Bildstörung“, dass es Zeit sei für die Sender ARD und ZDF ihre Zuschauer ernst zu nehmen.
Einleitend betonen die Autoren, dass das Internet das Gleich­ge­wicht des Medien­systems zwischen öffentlich-recht­lichen Fernseh­sendern und privater Presse „infrage stellt“. Es geht in dem Artikel besonders um die Vielfalt des Publi­zierens in der Republik, also einem gewach­senen System, das sich nun verändert. Das Problem für Mathias Döpfner (Chef des Axel Springer Konzern & aktueller Präsident des Bundes­ver­bands Deutscher Zeitungs­ver­leger) und Co. sei, dass die ARD nicht nur Fernsehin­halte böte, sondern „auch jede Menge Texte“ im Netz. Problem dabei sei, dass eine „Konkurrenz unter Ungleichen“ durch die Rundfunk­ge­büh­ren­si­cherheit auf der einen Seite vorläge. Bisher habe die Politik den Sendern „presse­ähn­liche“ Angebote untersagt, doch, so die Verfasser des Artikels, würden „die Lobby­isten der ARD“ an der Aufwei­chung dieser Verbote arbeiten. Das ZDF sei von dieser Debatte nicht weiter betroffen, da es sich auch im Netz bei den digitalen Angeboten vornehmlich auf audio­vi­suelle Inhalte konzen­trieren wolle.
Diese Debatte würde in einer „brisanten“ Phase statt­finden: Denn aktuell gäbe es die Struk­tur­reform der öffentlich-recht­lichen Rundfunk­an­stalten, vornehmlich gehe es dabei ums Sparen. Und die Grund­satz­frage insgesamt aber sei: „Wie könnte eine Reform des deutschen Medien­systems aussehen?“ Betrachte man die relative Meinungs­macht, so sei das Fernsehen, laut einer Unter­su­chung der Medien­an­stalten, mit 36 % noch immer mächtiger als das Internet (22 %) oder die Tages­zei­tungen (21 %). Bei den 14- bis 29-Jährigen führe jedoch das Internet „bei Weitem“. Ein gewich­tiges Argument für das Fernsehen als politi­schem Leitmedium bringt der Politik­wis­sen­schaftler Claus Leggewitz „Es ist weniger fragmen­tiert als das Internet und gibt den Zuschauern immer noch das Gefühl, bei etwas Wichtigem dabei zu sein.“ Dennoch sei zu beobachten, dass ARD und ZDF aktuell „unter Beschuss“ stehen würden wie nie und von vielen Seiten, am stärksten von der AfD, die die Abschaffung der Rundfunk­gebühr fordere – damit also auch die Abschaffung von ARD und ZDF selbst.
Stefan Raue, neuer Intendant des Deutsch­land­radios analy­siert im Artikel das Aufkommen des Unmuts und folgert, dass es sich hier nicht um etwas Vorüber­ge­hendes handele, sondern „ein heftiger Klima­wechsel, der uns noch lange fordern wird“ bevor­stünde und er fordert eine Reform der Anstalten „aus sich selbst heraus“.

Das Fernseh­pro­gramm sähe nach großko­ali­tio­närer Gemüt­lichkeit aus. Quizshow-Heiterkeit, Klinik­serien-Pseudo­dra­matik u.a. – hier fehle „vielleicht“ – so die Autoren – ein Programm, das die „Risse“ und die „Kluft“ die sich im Land auftue auch spüren lasse. „Das Unter­hal­tungs­pro­gramm fordert niemanden.“ Das Programm sei ein „ewiges Immer-weiter-So“. Aber es gäbe auch Qualität wird kurz einge­schoben mit wenigen Beispielen.
Insgesamt aber würde von den acht Milli­arden Euro Rundfunk­ge­büh­ren­ein­nahmen jährlich „nur ein Bruchteil“ für Journa­lismus ausge­geben. Teuer seien Formate wie der „Tatort“ oder der „Polizeiruf 110“ oder auch Vorabend­serien. (Anmerkung: Im Artikel findet sich auf der Seite 12 eine Infografik der ARD „Kosten­treiber Unter­haltung“).
Der Grund, warum Unter­hal­tungs­sen­dungen einen so hohen Stellenwert bei den öffentlich-recht­lichen Rundfunk­an­stalten hätten sei in der Gründungs­phase zu suchen: „Die Unter­haltung macht die Hütte voll, um dann das eigent­liche Kernprodukt an die Leute zu bringen: Nachrichten, politische Magazine, Politik­talk­shows.“ Der beste Quoten­bringer sei dabei aber immer der Fußball – mit dem Problem der ständig teurer werdenden Fernseh­rechte.
Positiv erwähnt wird das Beispiel des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), der sich mit seiner neuen Inten­dantin Patricia Schle­singer auf den Weg mache den Sender zu „entstauben“. So würde der RBB künftig mit dem ZDF koope­rieren, Kosten für Räume und Personal würden dadurch geteilt. Das sei, so die Autoren „eine kleine Revolution“. Insgesamt bleibe aber das Problem, dass „selbst kleine Sparan­stren­gungen“ bei den Sendern nur mit Hilfe von „großem politi­schen Druck“ erfolgen würden. Es fehle an Ideen „für einen neuen Gesell­schafts­vertrag über das öffentlich-recht­liche Fernsehen“. Und dass der Zuschauer noch immer als unmündig angesehen werde durch die Sender, sei ein weiteres Grund­problem. Die Autoren plädieren mit etlichen Ideen für eine Reform des Rundfunks, für ein Ernst­nehmen der Zuschauer, für ein „umwerben“ der Zuschauer – es bedeute vielleicht sogar künftig „weniger Geld von den Zuschauern zu nehmen – und eine Extra-Bezahlung von „frei gewählten“ beson­deren Angeboten.
(nur Print oder E-Paper)

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(frei zugänglich im Hamburger Abend­blatt)